Hier ist eigentlich nur ein Parkplatz für Autos gewesen … und wir bauen jetzt erstmal eine Struktur hin. Wir sind vielleicht nicht die Einzigen, die, wenn sie diesen Platz am Südpark in Halle-Neustadt betreten, denken, hier müsste man mal was tun: Eine überdimensional große homogene Schotterfläche zwischen einem abgelegenen Parkeingang, Plattenwohnbauten und einer Grundschule, vorrangig vom Lehrerkollegium und einigen Anwohnern als Parkplatz genutzt, obwohl in dem Viertel ausreichend Parkplätze vorhanden sind. Das brachte die Initiator*innen des Kaleidoskop-Projekts Maik, Maike und Johanna auf die Idee: Kann dieser Ort nicht auch einmal testweise anders aussehen, anders genutzt werden, vor allem durch die Kinder, die hier wohnen?
Ein Parkplatz ist ein Parkplatz ist ein Parkplatz. Da stehen Autos. Für immer. Für immer?
Wenn man die Idee für diesen Platz einmal öffnet, dem Platz temporär eine andere Struktur gibt, könnten möglicherweise andere Sachen passieren.
Sommerferien 2019: Zusammen mit Kindern des Viertels entsteht aus einer simplen von uns vorgegebenen baulichen Struktur ein Dorf, ein kleines Festivalgelände, ein Musikplatz, ein Radioplatz, ein Schlammplatz. Auf einmal produziert dieser Platz für viele Kinder völlig neue Erfahrungen, es entstehen Geschichten, Beziehungen, neue vertraute Orte. Die Kids bringen unterschiedlichste Hintergründe, Geschichten und Energie mit, sie sind neugierig und es ist zu merken, dass sie wirklich Lust haben auf neue Erfahrungen. Wir, die Erwachsenen, die die Kinder eingeladen haben und ihnen hier helfen, versuchen, dass dieses gemeinsame Bauen eine Art gemeinsame Sprache entstehen lässt, so dass sich alle intuitiv verstehen können. Bauen ist eine Form von Sprache, die alle einschließt. Man muss nur sehen, und das erfordert viel Aufmerksamkeit, dass alle ihren Platz finden, alle etwas zu tun bekommen und niemand frustriert ist. Aber das ist machbar und es macht letztlich großen Spaß, weil das wuselige, von außen chaotisch anmutende Baugeschehen, unendlich viele kleine Erfolgsgefühle und -momente bei den Kindern hervorzaubert. Viele erfahren zum ersten Mal, wie es ist eine Schraube geschraubt zu haben, sie merken, dass irgendwas klappt, dass sie selbstständig Gegenstände bauen können, sie erfahren ihre eigene Autonomie, ihr Können und ihre Grenzen. Und das ist unglaublich toll.
Das Schöne ist auch, dass sich das Design und die architektonische Struktur erst im Prozess ergeben. Die Kinder fangen irgendwo an, merken erst beim Bauen aha, das kann jetzt dies oder jenes werden, und verfolgen dann einen bestimmten Weg weiter, an den sie zuvor noch gar nicht gedacht hatten.
Letztendlich ist das eine Vision, wie wir uns Städte der Zukunft erlauben sollten zu entwickeln: Selbstgebaut, aber nicht informell mit Ellbogenmentalität, sondern durch langsam entwickelte neue Formen von demokratischer, selbstbestimmter Organisation und Teilhabe. Dazu gehört wahnsinnig viel Idealismus, soziale Kompetenz, Kommunikation, Frustrationstoleranz, Geduld, Ausdauer, Offenheit und Neugier. Und das versuchen wir, hier mit den Kindern zu erproben und ihnen zu vermitteln.
Kindern beizubringen, dass es nicht negativ ist, sondern Spaß machen kann, Sachen zu reparieren und nachhaltig zu nutzen, mit gebrauchten Sachen anders umzugehen, Gegenständen und vorhandenem Material einen anderen Wert beizumessen. Das ist, glaube ich, von unschätzbarem Wert. Sie können reparieren, sie können mit Maschinen umgehen, sie können anderen zeigen, wie das geht und werden damit auch ein Stück weit unabhängig, bekommen Selbstbewusstsein, lernen Teilhabe und werden irgendwie auch relaxter.
Aber zuallererst bauen wir jetzt mal eine Struktur hin…
Martin Kaltwasser studierte freie Kunst an der Akademie der bildenden Künste Nürnberg und Architektur an der TU Berlin. Er arbeitet in den Bereichen Bildhauerei, Installation und Intervention im öffentlichen Raum, Performance, Architektur und Stadtforschung. Seine weltweit gezeigten Arbeiten im öffentlichen Raum sind ortsbezogen und verbinden Recherche mit zumeist prozessorientierten, räumlichen, objekthaften, architektonischen Umsetzungen. Viele seiner Projekte sind partizipatorisch und entstehen unter der Verwendung von Umsonstressourcen aus dem städtischen Raum. Martin Kaltwasser ist Professor für das Lehrgebiet Plastik am Institut für Kunst und Materielle Kultur der TU Dortmund.